„Die Lieferung ist nicht das Wichtigste“ - Der Seligenstädter Verein „Pro Interplast“ bringt monatlich Hilfsgüter in die Ukraine
Seligenstadt – Jeden Monat bringt der Verein „Pro Interplast“ Hilfsgüter in die Ukraine.
Vor Ort helfen vier Ukrainerinnen, damit die richtigen Spenden ankommen. Ein Jahr nach Kriegsbeginn spricht Vorstandsmitglied Christian Kühner über die Arbeit des Vereins.
Herr Kühner, Pro Interplast schickt noch immer Hilfstransporte in die Ukraine. Wo genau gehen diese hin?
Die Transporte gehen nach wie vor nach Lwiw. Von dort sind wir mittlerweile mit unseren Kontakten so organisiert, dass die Waren in die gesamte Ukraine verteilt werden. Hauptsächlich in die absoluten Krisengebiete und Hotspots. Teilweise stehen wir auch mit Soldaten in direktem Kontakt, die uns dann bitten, insbesondere der dortigen Bevölkerung zu helfen. Die Anfragen und Anträge werden durch unsere Partner in Lwiw geprüft und an uns weitergeleitet – als „Volunteers Support Ukraine“ haben sie mittlerweile eine anerkannte Organisation gegründet. Wir versuchen, die benötigten Waren zu besorgen und zu liefern. Da bin ich unglaublich stolz auf und dankbar für unsere Teammitglieder, die beim Verladen helfen und nach Lwiw fahren. Von Lwiw wird dann der weitere Transport vor Ort organisiert.
Sie sind seit Beginn an vor Ort dabei. Was erleben Sie, wenn Sie mit den Hilfstransporten in der Ukraine ankommen?
Ja, ich bin jede einzelne Fahrt mitgefahren und organisiere diese seit dem 9.März vergangenen Jahres; wir machen nun die 13. Fahrt. Ich erlebe unheimliche Dankbarkeit von den Menschen. Oftmals ist nicht die Lieferung das Wichtigste, sondern dass die Menschen sehen, dass wir nach wie vor dabei sind und die Ukraine und ihre Menschen nicht vergessen haben.
Fällt Ihnen spontan ein Beispiel ein, wie Sie das den Menschen unabhängig von den Lieferungen noch zeigen?
Manchmal stehen wir um 4.30 Uhr nachts auf, zünden eine Kerze an und senden das Bild perWhatsApp an die Mädels (so nennen wir unsere
Helferinnen vor Ort liebevoll), die auch aufgestanden sind, weil zum Beispiel ein Familienangehöriger eine schwierige Passage beim Transport hat oder als Soldat durchqueren muss. Ein Soldat, der Bruder eines der Mädels, musste zum Beispiel alle drei Tage die sogenannte „Bridge of Life“ überqueren, umzu seinem Dienst hin und zurück zu kommen. Ich denke, der Name sagt alles. Der Weg darüber dauerte jeweils mindestens eine Stunde. Die Kerze und das Bild sollen zeigen, dass wir dabei sind. Alleine dafür gibt es große Dankbarkeit. Wir bekommen aber auch immer eine wahnsinnige Energie von den Mädels zurück. Sonst würden wir das alle wahrscheinlich auch nicht mehr machen.
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine war die Hilfsbereitschaft in Deutschland riesig. Wie erleben Sie diese Bereitschaft, speziell in Seligenstadt und Umgebung, ein Jahr später?
Wir bekommen immer noch Hilfe von einigen wenigen, aber sehr treuen Helfern. Insgesamt hat die Spendenbereitschaft finanziell wie auch von Sachspenden deutlich abgenommen. Vielleicht sind es noch maximal zehn Prozent von dem, was zu Kriegsbeginn gespendet wurde.
Was wird denn mittlerweile an Spenden gebraucht?
Hauptsächlich benötigt werden Geldspenden für den Zukauf von bestimmten Gegenständen, haltbaren Lebensmitteln wie Konserven, Fertiggerichte, Süßigkeiten –wegen des Zuckergehalts –, Energydrinks, Kaffee oder Tee. Gebraucht werden aber auch medizinisches Material,
Medikamente, Schlafsäcke, Hand- und Fußwärmer, Taschenlampen und Powerbanks sowie Stromaggregate.
Woher bekommen Sie diese Hilfsgüter heute vor allem?
Die Güter kommen von Spendern aus dem Umfeld und Aufrufen, aber auch von Zukäufen aus Vereinseinnahmen.
Bei den vergangenen zwei Transporten hatten wir zehn bis zwölf Tonnen Lebensmittel und andere Hilfsmittel dabei. Da helfen zum Beispiel auch der Verein Foodsharing Hanau und Main-Kinzig-Kreis und die Frankfurter Firma Oatsome.
Außerdem bekommen wir Zuwendungen und Spenden von der Kirchengemeinde St. Marien oder auch von Edeka- Beck, der uns zum Beispiel die Weihnachtsware kostenlos überlässt, statt sie zurückzusenden. Es gibt aber auch Ärzte, die uns mal ein Ultraschallgerät überlassen.
Zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine geht der nächste Transport ins Kriegsgebiet. Wann ist danach der nächste Hilfstransport geplant? Wie lange wollen und können Sie diese Hilfe überhaupt noch aufrecht erhalten?
Genau, zum Jahrestag fahren wir – auch aus symbolischen Gründen für die Mädels. Der nächste Transport wird für Ende März geplant. Wir haben
den Mädels versprochen, dasswir das so langemachen, bis wir kein Geldmehr haben oder absolut nichts mehr bekommen.
Wir werden nicht aufhören, bis der Krieg zu Ende ist – wie auch immer.
Das Gespräch führte Laura Oehl