Doch damit nicht genug. „Eigentlich wollte ich nach dem Studium zurück nach Kamerun“, erzählt die Mutter von zwei Kindern. In ihrem Heimatland arbeiten, dort die Menschen behandeln, auf ihrem Fachgebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde vor allem Kindern helfen, war ihr Ziel. Denn viele leiden dort aufgrund von Mittelohrentzündungen oder anderen Infektionskrankheiten im frühen Kindesalter an Schwerhörigkeit – mit fatalen Folgen. Wer nicht gut hört, kommt in der Schule nicht mit und wird – platt gesagt – für dumm erklärt. Weitere Chancen im Leben sind damit häufig verbaut.
Aachener Ärztin hilft Kindern in Kamerun
Aachen - Fachärztin Paulette Dountsop Yonta hat eine Vision: In ihrem Heimatland Kamerun errichtet sie ein HNO-Referenzzentrum. Sie erklärt, wieso der Weg dahin lang war und was Karl der Große damit zu tun hat.
Hören für ein besseres Leben. Was für gesunde Menschen banal klingt, ist für Paulette Dountsop Yonta zu einer Mission, wenn nicht gar zu einer Lebensaufgabe geworden. Die 47-Jährige kommt gebürtig aus Kamerun. Sieben Flugstunden liegen zwischen Deutschland und dem Land in Zentralafrika, dem unter den armen Ländern in dieser Region eine gewisse wirtschaftliche Stärke zugesprochen wird. „Ich war 18, als ich mit der letzten Lufthansamaschine auf dieser Strecke zum ersten Mal nach Frankfurt geflogen bin“, sagt Dountsop und lächelt.
Sie kam nach Deutschland, um ihren großen Traum zu verwirklichen: Medizin studieren. „Ich konnte kein Wort Deutsch und hatte keinen Studienplatz“, erzählt sie. Ihr Vater habe sie für verrückt erklärt. Denn in Belgien, wo viele Kameruner zum Studium hingingen, hätte sie aufgrund guter Noten einen Studienplatz sicher gehabt. „Doch ich wollte dahin, wo eben nicht alle hingingen. Deutschland hatte den besten Ruf. Ich war dickköpfig.“ Nach nur vier Monaten schloss sie einen Sprachkurs in Bremen erfolgreich ab. „Ich wollte meinem Vater beweisen, dass ich es kann.“ Und ja, sie kann…
Heute, 30 Jahre später, hat Dountsop einen Doktor in Medizin, ist Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, hat als Oberärztin am Evangelischen Krankenhaus in Düsseldorf sowie an der Uniklinik Aachen praktiziert. Seit 2020 arbeitet sie als niedergelassene Fachärztin in ihrer eigenen Praxis in Aachen-Laurensberg und operiert als Belegärztin im Luisenhospital, wo sie auch als HNO-Dozentin in der Krankenpflegeschule unterrichtet.
„Das Problem liegt im System“, erklärt die Fachärztin. Die hier bekannten Neugeborenen- und U-Untersuchungen, die einen Hörtest in jungen Jahren beinhalten, gibt es in Kamerun nicht. Außerdem kommen dort auf 27 Millionen Einwohner weniger als 80 HNO-Ärzte. Einen qualifizierten Ohrchirurgen sucht man landesweit vergebens. Ein Missstand, den sie ändern möchte.
Politik und Wirtschaft haben aber in Kamerun Tücken. „Das System hätte mich geschluckt“, weiß sie heute. „Mein Vater riet mir deshalb damals schon davon ab, zurückzukehren. Er war sich sicher, ich könnte besser helfen, wenn ich dies von außerhalb tue.“
Gesagt, getan. 2013 flog sie das erste Mal gemeinsam mit einem Operationsteam aus dem Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf in ihr Heimatland, um Kinder mit Hörschäden zu operieren. Das erste „Ear Camp“ war geboren. 200 Untersuchungen und 50 OPs in zwei Wochen. 2015 und 2017 folgten weitere „Ohren Camps“. „Die Patientinnen und Patienten sind so dankbar“, sagt Dountsop. Und eben darum geht es ihr: Die Menschen und die Medizin.
Deshalb macht sie weiter. Auch über ihre Zeit am Düsseldorfer Krankenhaus hinaus. „Ich möchte etwas aufbauen, das bleibt“, sagt sie entschlossen mit einer klaren Vision vor Augen. Anfang Oktober hat sie deshalb in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, das „Charlemagne Medical Center“ eröffnet. Es ist ein Referenzzentrum zur Ausbildung ärztlichen und pflegerischen HNO-Personals zur Früherkennung, Behandlung und Nachsorge von Hals- und Nasenerkrankungen im Allgemeinen sowie Ohrenerkrankungen im Speziellen. „Für Operationen arbeiten wir weiterhin mit dem Mutter-Kind-Krankenhaus in Yaoundé zusammen“, erklärt die 47-Jährige.
Perspektivisch könne sie sich gut vorstellen, im Charlemagne Medical Center OP-Säle herzurichten. Alles Schritt für Schritt eben. Schließlich müsse sowohl Equipment wie auch Personal sukzessive finanziert werden. Die derzeit vier Angestellten – eine Allgemeinmedizinerin, eine Krankenschwester, eine Frau an der Aufnahme und eine im Labor – bezahlt Dountsop momentan aus eigener Tasche.
Namentlich hat sie das Referenzzentrum bewusst an ihre neue Heimat Aachen angelehnt. „Mein Mann hat an der RWTH studiert. Alle Bemühungen, ihn aus Aachen wegzulotsen, sind gescheitert“, verrät sie lachend. „Mittlerweile kann ich ihn gut verstehen.“ Charlemagne, also Karl der Große, hatte eine Vision. Und eben die hat sie auch. Sie möchte mit ihrem Zentrum zu einer positiven Veränderung in Kamerun beitragen.
„Aktuell sind wir noch im Aufbau und auf Spenden angewiesen. Irgendwann soll sich das Zentrum von allein finanzieren“, so die Fachärztin. In Kamerun gibt es kein Krankenkassensystem wie hier. Die Menschen bezahlen jeden Arztbesuch selbst. Nur spendenbasiert und völlig kostenfrei will Dountsop trotz der Armut vor Ort nicht arbeiten. „Das macht die Leute misstrauisch. Sie denken, wir würden irgendwelche Versuche mit ihnen anstellen, wenn wir kein Geld für Behandlung oder Operationen verlangen.“
Nun geht es darum, die Grundausrüstung zusammenzukriegen und aufzustocken: Geräte für Hörtest und Drucktest, Endoskope, Mikroskope. Eine Untersuchungseinheit von ihrem Vorgänger aus der Praxis in Laurensberg hat sie bereits mittels Seecontainer nach Kamerun verschifft.
Ihr Engagement ist zeit- und kostenaufwändig. Doch ihre Entschlossenheit scheint ungebrochen. „Wenn sich alles eingespielt hat, kann ich mir gut vorstellen, alle drei Monate nach Kamerun zu fliegen und dort die Kinder zu behandeln“, blickt sie optimistisch in die Zukunft. Auch, wenn der Weg bis dahin noch weit scheint, aufgeben ist für sie keine Option.